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Artikel 90 der MDR 2017/745 behandelt die Prüfung von im Rahmen der Vigilanz und Marktüberwachung gemeldeten Informationen. Dieser Artikel ist ein zentraler Bestandteil der regulatorischen Anforderungen zur Überwachung von Medizinprodukten nach deren Inverkehrbringen.
Artikel 90 – Prüfung von im Rahmen der Vigilanz und Marktüberwachung gemeldeten Informationen
Untersuchung gemeldeter Vorkommnisse und Sicherheitsrisiken:
Die zuständigen Behörden der Mitgliedstaaten sind verpflichtet, alle gemeldeten Vorkommnisse, Sicherheitskorrekturmaßnahmen im Feld (FSCA – Field Safety Corrective Actions) und andere relevante Informationen über mögliche Risiken, die von Medizinprodukten ausgehen könnten, systematisch zu prüfen.
Diese Prüfung umfasst sowohl die Bewertung der Schwere des gemeldeten Vorkommnisses als auch die Notwendigkeit von Maßnahmen, um die Sicherheit von Patienten, Anwendern und Dritten zu gewährleisten.
Ermittlung von Trends:
Artikel 90 verlangt, dass die Behörden und Hersteller Trends identifizieren, die auf ein erhöhtes Risiko oder eine systematische Problematik bei bestimmten Produkten hinweisen könnten, selbst wenn die Vorkommnisse nicht als schwerwiegend eingestuft werden.
- Das bedeutet, dass wiederkehrende kleinere Probleme oder eine Häufung ähnlicher Vorkommnisse ebenfalls als potenzielles Risiko betrachtet werden müssen.
- Solche Trends können zu vorbeugenden Maßnahmen führen, bevor ein schwerwiegendes Vorkommnis auftritt.
Kooperation zwischen den Mitgliedstaaten:
Die zuständigen Behörden der Mitgliedstaaten sind verpflichtet, bei der Untersuchung von Vorkommnissen und bei der Bewertung von Trends eng zusammenzuarbeiten. Diese Zusammenarbeit erfolgt in der Regel über:
- EUDAMED: Die zentrale europäische Datenbank für Medizinprodukte.
- Regelmäßige Berichte und Meetings zwischen den nationalen Behörden.
- Austausch von Best Practices und Koordinierung von Maßnahmen.
Rolle der Hersteller:
Hersteller sind verpflichtet, ihre eigenen Post-Market-Surveillance-Systeme (PMS) zu betreiben, um Vorkommnisse zu erkennen und zu melden. Sie müssen:
- Schwerwiegende Vorkommnisse und Sicherheitskorrekturmaßnahmen im Feld zeitnah an die zuständigen Behörden melden.
- Nicht-schwerwiegende Vorkommnisse und Trends überwachen und dokumentieren.
- Regelmäßige Sicherheitsberichte erstellen, z.B. den Periodic Safety Update Report (PSUR).
Bewertung der Notwendigkeit regulatorischer Maßnahmen:
Nach der Prüfung der gemeldeten Informationen kann die zuständige Behörde:
- Korrekturmaßnahmen verlangen (z.B. Änderungen am Produktdesign, neue Gebrauchsanweisungen).
- Rückrufe oder Einschränkungen des Inverkehrbringens anordnen.
- Warnhinweise oder Sicherheitsmitteilungen für Anwender und Patienten herausgeben.
Meldung an die Europäische Kommission und andere Mitgliedstaaten:
Wenn eine nationale Behörde der Ansicht ist, dass ein Produkt ein grenzüberschreitendes Risiko darstellt oder wenn koordinierte Maßnahmen erforderlich sind, muss dies der Europäischen Kommission und den anderen Mitgliedstaaten gemeldet werden.
Bedeutung von Artikel 90 für Hersteller und Behörden
- Für Hersteller:
- Sie müssen effiziente Systeme zur Überwachung ihrer Produkte nach dem Inverkehrbringen etablieren.
- Vigilanzberichte müssen regelmäßig und vollständig erstellt werden.
- Trendanalysen sind verpflichtend, auch wenn keine schwerwiegenden Vorkommnisse vorliegen.
- Bei Feststellung von Risiken müssen proaktiv Sicherheitskorrekturmaßnahmen ergriffen werden.
- Für Behörden:
- Sie sind verantwortlich für die unabhängige Überprüfung der von den Herstellern gemeldeten Informationen.
- Sie müssen Trends erkennen, die auf ein systematisches Versagen oder Sicherheitsrisiken hindeuten könnten.
- Die Koordination mit anderen Behörden und der Kommission ist entscheidend für die schnelle Reaktion auf grenzüberschreitende Risiken.
Zusammenfassung zu Artikel 90:
Artikel 90 der MDR 2017/745 regelt die systematische Überprüfung von Vorkommnissen und Trends, die im Rahmen der Vigilanz und Marktüberwachung gemeldet werden. Ziel ist es, mögliche Risiken frühzeitig zu erkennen und präventive Maßnahmen zu ergreifen. Hersteller müssen umfassende Post-Market-Surveillance-Systeme betreiben und Trends überwachen, während die Behörden die gemeldeten Informationen unabhängig prüfen und koordinierte Maßnahmen ergreifen.
Die Trendanalysen und die Meldung von Vorkommnissen sind zentrale Bestandteile der Post-Market Surveillance (PMS) und Vigilanzsysteme nach der MDR 2017/745. Sie dienen dazu, mögliche Risiken frühzeitig zu erkennen und Maßnahmen zu ergreifen, bevor es zu schwerwiegenden Vorkommnissen kommt.
Trendanalysen und Vorkommnisse
1. Trendanalysen nach MDR 2017/745 Artikel 90
Definition von Trendanalysen:
Eine Trendanalyse ist der systematische Prozess zur Erkennung von Mustern oder Auffälligkeiten in den gemeldeten Vorkommnissen, die auf ein zunehmendes Risiko oder ein systematisches Problem mit einem Medizinprodukt hinweisen könnten. Dies betrifft auch nicht-schwerwiegende Vorkommnisse, die in ihrer Häufung auf ein größeres Problem hindeuten können.
Rechtliche Grundlage:
Laut Artikel 88 der MDR müssen Hersteller:
- Jegliche Zunahme der Häufigkeit oder Schwere von Vorkommnissen erkennen.
- Regelmäßige Analysen durchführen und, wenn ein Trend identifiziert wird, diesen an die zuständigen Behörden melden.
Welche Daten werden analysiert?
- Schwerwiegende und nicht-schwerwiegende Vorkommnisse.
- Rückmeldungen von Anwendern (z.B. Ärzte, Krankenhäuser).
- Fehlfunktionen, die zwar keine unmittelbare Gefahr darstellen, aber in der Zukunft zu Problemen führen könnten.
- Reklamationen und Qualitätsabweichungen.
Beispiele für Trends nach Artikel 90:
- Ein Anstieg von kleinen Fehlfunktionen bei einer Infusionspumpe, die noch keine Patienten verletzt hat, aber auf ein Materialproblem hinweist.
- Wiederholte Berichte über Messabweichungen bei einem Diagnostikgerät.
- Häufung von Reklamationen bezüglich der Haltbarkeit von Kathetern in einer bestimmten Charge.
Wann muss gemeldet werden?
Ein Trend muss gemeldet werden, wenn:
- Die Häufigkeit der Vorkommnisse über den erwarteten Wert hinausgeht.
- Die Trendanalyse zeigt, dass es ein potenzielles Risiko für Patienten oder Anwender gibt.
Die MDR verlangt, dass Hersteller klare Kriterien und Schwellenwerte festlegen, ab wann ein Trend als meldepflichtig gilt.
2. Meldung von Vorkommnissen nach MDR 2017/745
Definition von Vorkommnissen:
Ein Vorkommnis ist jede Fehlfunktion oder jede Verschlechterung der Eigenschaften oder Leistung eines Medizinprodukts sowie Anwenderfehler, die zu einer Beeinträchtigung der Gesundheit oder Sicherheit von Patienten, Anwendern oder Dritten führen könnten.
Schwerwiegende Vorkommnisse:
Diese müssen innerhalb festgelegter Fristen an die zuständige Behörde gemeldet werden. Ein schwerwiegendes Vorkommnis ist eines, das:
- Zum Tod oder einer schwerwiegenden Verschlechterung des Gesundheitszustands geführt hat.
- Eine chirurgische Intervention erforderlich macht.
- Ein erhebliches öffentliches Gesundheitsrisiko darstellt.
Meldefristen für schwerwiegende Vorkommnisse:
- Innerhalb von 2 Tagen, wenn eine ernsthafte Bedrohung der öffentlichen Gesundheit besteht.
- Innerhalb von 10 Tagen bei Tod oder schwerwiegender Verschlechterung des Gesundheitszustands.
- Innerhalb von 15 Tagen bei allen anderen schwerwiegenden Vorkommnissen.
Nicht-schwerwiegende Vorkommnisse:
- Müssen intern dokumentiert und im Rahmen der Trendanalysen ausgewertet werden.
- Sie sind nicht direkt meldepflichtig, können aber in Summe zu einem meldepflichtigen Trend werden.
3. Der Meldeprozess im Detail
Akteure im Meldeprozess:
- Hersteller: Primär verantwortlich für die Erkennung, Analyse und Meldung von Vorkommnissen.
- Importeure und Händler: Müssen Vorkommnisse an den Hersteller weiterleiten.
- Anwender (z.B. Ärzte, Krankenhäuser): Melden Vorkommnisse direkt an den Hersteller oder die zuständige Behörde.
Meldewege:
- Über die nationale zuständige Behörde (in Deutschland: BfArM – Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte).
- Über die europäische Datenbank EUDAMED (sobald vollständig implementiert).
Inhalte der Meldung:
- Detaillierte Beschreibung des Vorkommnisses (Was ist passiert? Wann? Wo?).
- Produktinformationen (Typ, Seriennummer, Chargennummer).
- Analyseergebnisse des Herstellers.
- Ergriffene Maßnahmen (z.B. Rückruf, Sicherheitskorrekturmaßnahme im Feld).
4. Sicherheitskorrekturmaßnahmen im Feld (FSCA)
Wenn ein Vorkommnis oder ein Trend ein Risiko für die Gesundheit darstellt, müssen Sicherheitskorrekturmaßnahmen ergriffen werden. Dazu gehören:
- Rückrufe von Produkten.
- Software-Updates bei digitalen Medizinprodukten.
- Änderungen der Gebrauchsanweisung oder zusätzliche Sicherheitswarnungen.
- Schulungen für Anwender zur Vermeidung von Risiken.
Der Hersteller muss die Durchführung dieser Maßnahmen dokumentieren und sicherstellen, dass sie bei allen betroffenen Kunden umgesetzt werden.
Zusammenfassung Artikel 90:
- Trendanalysen sind essenziell, um frühzeitig potenzielle Risiken zu erkennen, bevor schwerwiegende Vorkommnisse auftreten.
- Schwerwiegende Vorkommnisse müssen innerhalb gesetzlich festgelegter Fristen an die Behörden gemeldet werden.
- Nicht-schwerwiegende Vorkommnisse werden intern dokumentiert und im Rahmen der Trendanalysen bewertet.
- Sicherheitskorrekturmaßnahmen im Feld müssen bei festgestellten Risiken unverzüglich umgesetzt werden.