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Artikel 94 der MDR 2017/745 behandelt das Verfahren bei formaler Nichtkonformität von Medizinprodukten. Während Artikel 93 sich auf gesundheitsbezogene Risiken konzentriert, regelt Artikel 94 die Vorgehensweise, wenn ein Produkt formale Mängel aufweist, die nicht unmittelbar die Gesundheit gefährden, aber dennoch gegen regulatorische Anforderungen verstoßen.
Artikel 94 – Verfahren bei formaler Nichtkonformität
1. Was ist formale Nichtkonformität?
Formale Nichtkonformität liegt vor, wenn ein Medizinprodukt gegen die Vorschriften der MDR verstößt, ohne dass es unmittelbar ein Risiko für Gesundheit oder Sicherheit darstellt. Typische Fälle sind:
- Fehlende oder falsche CE-Kennzeichnung.
- Unvollständige oder inkorrekte Konformitätserklärung des Herstellers.
- Unzureichende technische Dokumentation.
- Nicht-Einhaltung der Anforderungen an die Kennzeichnung oder Gebrauchsanweisungen.
- Nichteinhaltung der Meldepflichten durch Hersteller, Importeure oder Händler.
2. Maßnahmen der zuständigen Behörden
Wenn eine zuständige Behörde feststellt, dass ein Produkt formal nicht konform ist, aber kein unmittelbares Risiko für Gesundheit und Sicherheit besteht, muss sie folgendes tun:
- Aufforderung zur Behebung:
- Der Hersteller (oder gegebenenfalls der Importeur/Vertreiber) wird von der Behörde aufgefordert, die formalen Mängel innerhalb einer angemessenen Frist zu beheben.
- Die Frist richtet sich nach der Art des Verstoßes und der Komplexität der Korrekturmaßnahmen.
- Beispielhafte Maßnahmen:
- Korrektur der CE-Kennzeichnung oder deren Nachweis.
- Nachreichung oder Berichtigung der Konformitätserklärung.
- Ergänzung der technischen Dokumentation.
- Aktualisierung von Etiketten oder Gebrauchsanweisungen.
3. Folgen bei Nichtbehebung der Mängel
Wenn der Hersteller die Mängel nicht innerhalb der gesetzten Frist behebt, können die Behörden folgende Maßnahmen ergreifen:
- Einschränkung des Inverkehrbringens:
- Das Produkt darf nicht mehr in Verkehr gebracht oder in Betrieb genommen werden.
- Verbot des Inverkehrbringens:
- Das Produkt wird vollständig vom Markt entfernt, selbst wenn kein Gesundheitsrisiko besteht.
- Rückruf von Produkten:
- Bereits in Verkehr gebrachte Produkte können zurückgerufen werden, insbesondere wenn die formale Nichtkonformität den ordnungsgemäßen Gebrauch oder die Sicherheit beeinträchtigen könnte.
4. Informationspflichten
Wenn die Maßnahmen Auswirkungen auf mehrere Mitgliedstaaten haben oder von erheblicher Bedeutung sind, muss der betroffene Mitgliedstaat:
- Die Europäische Kommission und die anderen Mitgliedstaaten über die festgestellte formale Nichtkonformität und die ergriffenen Maßnahmen informieren.
- Die Kommunikation erfolgt in der Regel über EUDAMED.
5. Rechte des Herstellers
Der betroffene Hersteller hat das Recht auf:
- Stellungnahme zu den festgestellten Mängeln.
- Nachweis der Korrekturmaßnahmen.
- Im Streitfall kann der Hersteller rechtliche Schritte gegen die Entscheidung der Behörde einleiten.
Praktische Bedeutung von Artikel 94
- Für Hersteller:
- Hersteller müssen sicherstellen, dass ihre Produkte nicht nur sicher sind, sondern auch alle formalen Anforderungen der MDR erfüllen.
- Die technische Dokumentation, die Kennzeichnung und die Konformitätserklärung müssen jederzeit vollständig und korrekt sein.
- Eine regelmäßige Überprüfung der Compliance-Dokumentation ist empfehlenswert.
- Für Importeure und Händler:
- Auch Importeure und Händler tragen Verantwortung für die formale Konformität der Produkte, die sie vertreiben.
- Sie müssen sicherstellen, dass die Produkte korrekt gekennzeichnet sind und die erforderlichen Dokumente vorhanden sind.
- Für Behörden:
- Die Behörden müssen Verstöße gegen die MDR konsequent verfolgen, auch wenn keine unmittelbare Gesundheitsgefahr besteht.
- Sie müssen sicherstellen, dass die Integrität des Marktes gewahrt bleibt und alle Marktteilnehmer nach denselben Regeln spielen.
Beispiele für formale Nichtkonformität
- Fehlende CE-Kennzeichnung: Ein Hersteller vertreibt ein Medizinprodukt ohne CE-Kennzeichnung. Auch wenn das Produkt sicher ist, verstößt es gegen die MDR. Die Behörde fordert den Hersteller auf, die CE-Kennzeichnung korrekt anzubringen.
- Unvollständige technische Dokumentation: Die technische Dokumentation eines Produkts ist unvollständig, z.B. fehlen Nachweise zur Risikobewertung. Die Behörde fordert eine Nachbesserung. Wird dies nicht erledigt, kann das Produkt vom Markt genommen werden.
- Falsche Gebrauchsanweisung: Die Gebrauchsanweisung enthält unvollständige Informationen über die sichere Anwendung des Produkts. Obwohl kein direkter Schaden entstanden ist, muss der Hersteller die Gebrauchsanweisung korrigieren.
Unterschied zu Artikel 93 MDR
- Artikel 93 betrifft Produkte, die ein gesundheitliches Risiko darstellen. Hier stehen Sicherheitsbedenken im Vordergrund.
- Artikel 94 hingegen bezieht sich auf formale Verstöße, die zwar keine unmittelbare Gefahr darstellen, aber dennoch gegen die MDR-Vorschriften verstoßen.
Zusammenfassung:
Artikel 94 der MDR 2017/745 regelt das Verfahren, wenn ein Medizinprodukt formale Mängel aufweist, ohne ein direktes Gesundheitsrisiko darzustellen. Die Behörden fordern den Hersteller auf, diese Mängel innerhalb einer Frist zu beheben. Erfolgt dies nicht, können Maßnahmen wie das Verbot des Inverkehrbringens oder der Rückruf des Produkts angeordnet werden. Der Hersteller hat das Recht auf Stellungnahme und Nachbesserung.